Es gibt zwei Zahlen, die stehen für die Generation Z wie kaum etwas anderes: die 9 und die 16. Getrennt durch einen Doppelpunkt bezeichnen sie das Hochformat, in dem jeder unter 25 seine Videos filmt und auch anschaut. 9:16 (gesprochen: Neun zu Sechszehn) ist für unsere Kinder das, was 16:9 für uns ist. OK, das war jetzt vielleicht etwas verwirrend. Gehen wir kurz zwei kleine Schritte zurück, bevor wir die Gegenwart betrachten.

Im Jahr 2003 war es ziemlich cool, wenn man einen Fernseher hatte, der das 16:9 Bildformat beherrschte. Das Bild war mit Einführung von Flachbildschirmen deutlich breiter als hoch geworden und kam somit dem Kino näher. Das war super, um Kinofilme auf dem Fernseher zu sehen.

Im Jahr 2013 hatten sich Smartphones durchgesetzt. Man konnte jetzt mit dem Telefon Videos machen und gucken. Dazu musste man nur eine Sache tun: das Smartphone „kippen“. Denn auch 2013 waren Videos fast ausnahmslos im 16:9 Format verfügbar. Und nicht nur das. Die Leute drehten ihr Videos auch im Breitbild Format. Das war super, um Handyfilme auf dem Fernseher zu sehen.

Im Jahr 2023 ist das anders. Heute halten die (jungen) Leute ihre Telefone beim Filmen senkrecht. Und das ist wahrscheinlich eines der deutlichsten Zeichen für unsere gesellschaftliche Entwicklung zu einer vollkommen Ego-zentrierten Welt. Wie bitte? Ja genau! Und ich sage dir auch, warum ich das denke.

Es sind die social Plattformen, allen voran TikTok und Instagram, die das 9:16 Format so haben explodieren lassen. Auf beiden Plattformen sieht man Clips fast ausschließlich im Hochformat. Drehten die Leute früher noch für Youtube das Handy zur Seite, ist das jetzt nicht mehr nötig. Die Videos laufen im Fullscreen senkrecht ab. Das ist der Stand der Technik und fühlt sich auf dem Smartphone auch irgendwie „natürlich“ an. Innerhalb von ein, zwei Jahren ist da ein kompletter Shift von Querformat zu Hochformat passiert. Und alle haben sich ruck zuck daran gewöhnt. Oder ist dir das so richtig aufgefallen, dass du jetzt auch viel weniger das Handy auf die Seite legst? Ist doch so, oder?

Das alleine ist erstmal nicht weiter tragisch. Sagst du jetzt. Und was hat das mit Egoismus zu tun? Fragst du jetzt. Das sage ich dir gerne.

Das Hochformat ist das Portrait Format. Für EINE Person ist es perfekt. Vor allem, wenn man sich von oben bis unten zeigen will. Influencer Style, du weisst schon. 9:16 ist wie die Showbühne, nur ohne den ollen dunkelroten Samtvorhang links und rechts. Die eine Person steht im Mittelpunkt. Kein Platz für andere Leute. Auch die klassischen Talking Heads, also Menschen, von denen nur Kopf und Oberkörper im Bild zu sehen sind, kommen bei 9:16 am besten rüber.

EGO SHOOTING – Das Selfie als Gipfel der Selbstdarstellung

Ein leuchtendes Signal für die Ego-Sucht unserer Zeit ist das Selfie. Stell dir vor, du fotografierst mit einem Fotoapparat die Mona Lisa. Auf dem Foto siehst du? Die Mona Lisa! Und jetzt guck dir mal die Menschen im Louvre an, die Fotos mit ihren Smartphones machen. Sie stehen mit dem Rücken zum Gemälde..!! Ernsthaft. Und warum? Weil sie sich selbst mit aufs Foto bringen wollen. Sie wollen ihr eigenes Grinsen im Vordergrund sehen und das Lächeln der Mona Lisa gerät dabei, bestenfalls noch halb verdeckt, in den Hintergrund.

Die Welt wird zur Kulisse. Sie knipsen und sie filmen sich, erleben sich selbst als Mittelpunkt der eigenen Inszenierung. Sie reisen um die Welt, um sich der Welt zu zeigen. Sie wollen nicht die Welt sehen. Sie wollen in der Welt gesehen werden. Und sind am Ende nur die Darsteller in einem Film, der eigentlich ihr Leben sein sollte.

Das sind die Egoshooter. Sie sind die Kinder des 9:16 Zeitalters…


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